In der letzten Zeit sind mir ein paar Dinge wiederholt aufgefallen, zu denen ich gerne Stellung beziehen würde. Ich bin schon seit vielen Jahren engagierter DSA-Fan, der sein Hobby liebt, aber es gerne auch weiter hegen und pflegen möchte und darum einzelne Elemente kritisiert. Es geht nicht darum, vernichtende Kritik zu üben oder sich über etwas oder jemanden moralisch oder sonstwie zu erheben, sondern einfach um emanzipatorische Anmerkungen, die dazu führen sollen, kritische Denkansätze anzubieten, um unser aller Vorurteile zu erforschen und vielleicht abzulegen.
Insbesondere beim Lesen von „Khunchomer Pfeffer“ habe ich mich über die Tendenz geärgert, den Rastullahglauben mit dem Islam gleichzusetzen und Tulamidya mit Arabisch gleichzusetzen und entsprechend zu benutzen.
Novadis sind keine Muslime!
DSA ist ein Fantasy-Pen&Paper-Rollenspiel, das auf dem fiktiven Kontinent Aventurien spielt und insofern sind die Religionen bei DSA ebenso frei erfunden. Vieles bei DSA basiert allerdings auf verfremdeten Elementen der realen Welt – was damals bei der Erfindung so gesetzt worden ist und oft als Grund für das im Vergleich zu anderen Rollenspielwelten leichte Hineinfinden in die Spielwelt angeführt wird. (Was dann natürlich auch andere Leute negativ bewerten können, die eine stärker phantastische Welt wünschen, die weniger irdischen Vorbilden nachempfunden ist. Außerdem ist DAS SCHWARZE AUGE im Deutschland der 80er von deutschen, weißen Männern mit der entsprechenden Sozialisation und all den Problemen, die damit einhergehen (Eurozentrismus, Rassismus, Sexismus, Orientalismus oder Exotismus und all das hat mal mehr (Eurozentrismus als Mittelreichzentrismus) und mal weniger (Sexismus – weil bewusst die tolle Setzung gemacht worden ist, dass Männer und Frauen per se sich nicht in den Spielwerten unterscheiden und die Gesellschaften weitgehend zumindest nicht von einem Sexismus irdischen Vorbildes gestraft sind) stark Einzug in das Spiel gefunden – mit diesen Aspekten will ich mich gerne einmal in der Zukunft beschäftigen.). Die entstandene Welt basiert somit auf allerlei Versatzstücken aus der tatsächlichen Geschichte unserer Welt – aber vielmehr auch medial vermittelten Bildern, Geschichten, Märchen und ähnlichem. Allerdings, und das ist das entscheidende: Dinge wurden (im besten Fall) nicht einfach übernommen, sondern in verschiedensten Formen verfremdet, transformiert, neu zusammengesetzt und verknüpft.
Soweit – so gut.
Was ich aber nicht angemessen finde, ist die (von mir) als zunehmend wahrgenommene Tendenz, den inneraventurischen Rastullahglauben mit dem irdischen Islam zu vergleichen. Die übrigen Glaubensvorstellungen in der Spielwelt entsprechen ebenfalls keinen Religionen, an die real Menschen glauben – es gibt wiederum lediglich Versatzstücke, die keinen echten Vergleich ermöglichen. Zum Beispiel werden die Roben der meisten zwölfgötterlichen und vor allem der boronischen Geweihten denen von irdischen Mönchen und Nonnen nachempfunden; die Kirche des Praios verfügt über eine Inquisition, die an die irdische Inquisition im ausgehenden Mittelalter angelehnt ist oder ein der Rondraglauben der Anhänger der Kampfgöttin, der die Ehrenvorstellungen des (teilweise christlich begründeten) sozialen und moralischen Konstruktes des Rittertums in der irdischen Vergangenheit transportiert.
Selbstverständlich ist der tulamidische Raum schon immer eine Remineszenz an die märchenhafte Welt um 1001 Nacht (Obacht: Orientalismus…) gewesen und diese Märchenwelt ist auch irdisch untrennbar mit dem irdischen Islam verbunden. Aber die aventurische Setzung hat anderes ergeben, denn im tulamidischen Kulturraum sind die Menschen nichtsdestotrotz überwiegend 12-Göttergläubig und entsprechen eben nicht dem weltlichen Vorbild, nach dem der imaginierte Orient größtenteils von (wenn auch verschiedenen Untergruppen zugehörigem) Islam beherrscht wird. Aspekte des irdischen Islams fanden darüber hinaus dennoch ihren Weg nach Aventurien und vor allem in die Tulamidenlande. Auch die Novadis bekamen selbstverständlich Aspekte ab. Das entscheidende ist allerdings, dass sie, um beim märchenhaften Bild zu bleiben, nicht vollständig und deckungsgleich den Muslimen entsprechen, sondern allenfalls kleinen radikalen Splittergruppen des Islams – denn auch zahlenmäßig ist der Anteil der Novadis unter den Tulamiden recht gering. Der Rastullahglauben ist eine kleine Religionsgemeinschaft, die schon immer auch andere Aspekte auf sich vereinte wie den Zoroastrismus (Beerdigungsrituale, beispielsweise das novadische Buch „Also sprach Rastullah“ – als wohl inhaltlich entfremdetes Versatzstück von Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“), des Judentums („Wir[die Beni Novad] sind das von Rastullah auserwählte Volk!“ Götter, Kulte, Mythen Seite 126) oder die Traditionen nomadischer – vor allem beduinischer – Wüstenbewohnerinnen und -bewohnern. Auch die aventurische Architektur entspricht kulturellen und nicht religiösen Eigeneheiten irdischer Äquivalente.
Wir sehen also, dass die novadische Glaubenswelt wie alle Inhalte des Spiels irdische Anleihen besitzen – aber mich stört die sich zunehmend vollziehende Gleichsetzung von Rastullahglauben und Islam. Unter anderm in „Khunchomer Pfeffer“ einer zweiteiligen Romanserie von Marco Findeisen und Eevie Demirtel ist wiederholt von „Rastullah akbar!“ die Rede. Das hier einer der vielleicht bekanntestesten Formeln des realen islamischen Religion umgemünzt wird, finde ich einfach unpassend und zu dreist und phantasielos geklaut. Im weiteren wird der Gebetsruf und werden weite Teile religiöser Rituale einfach wie selbstverständlich übernommen. Weiter unten schreibe ich im weiteren noch mehr zur Sprache – auch, wenn das dann generell für Tulamidya gilt und nicht nur für die kleinere Gemeinschaft der Novadis. Thematisch und durch solche zu deutlichen Entlehnungen finde ich eine solche Gleichsetzung nicht angemessen, denn sie diffamiert damit eine tatsächlich vorhandene Religion.
Wenn erst einmal der Rastullahglauben bei den Spielerinnen und Spielern assoziativ fest mit „dem Islam“ verknüpft ist, wird es umso unappetittlicher, denn im allgemeinen gilt der Glaube der Novadis als unsympathisch – ja sogar als bewusst falsch. So gibt es unter anderem die Theorie, dass die Rastullahgläubigen eigentlich den Namenlosen [einer der finstersten Götter…] anbeten. Wenn man tatsächlich die Parallelität von Islam und Rastullahglauben unterstützt, dann wird hier die Brücke zu uralten mittelalterlich-christlichen proto-antimuslimischen Vorurteilen, die besagen, dass Muslime in Wahrheit einen finsteren Dämon anbeteten, geschlagen. Ich nehme in einem zunehmendem Maß blöde Islamklischees war, die noch über Frauenunterdrückung und abweichende Essgewohnheiten hinaus gehen.
Tulamidya ist nicht Arabisch!
Nun kommen wir zu etwas, dass meiner Meinung nach stark damit zusammengehört, obwohl es dabei nicht um Religion geht: Die Sprache. Tulamidya ist in Aventurien die zweitverbreitetste Sprache. Nun ist es aber eben so, dass alle Sprachen in Aventurien nur ausgedacht sind und allesamt kaum Ausarbeitung erfahren haben. Einzige Ausnahme ist Garethi, das mit seinen Dialekten instgesamt aber die kontinental verbreitete Standardsprache darstellt und dem deutschen entspricht. Wenn nun während des Rollenspiels jemand in einer anderen Sprache spricht, wird das gemeinhin weiter in deutscher Sprache abgehandelt, in der Phantasie der Spielerinnen und Spieler entsteht dabei die vollkommen andere Sprache. Nun gibt es aber die Tendenz, das arabische mit dem Tulamidya gleichzusetzen,- was ich ebenso ablehne wie eine allzu starke Gleichsetzung von Rastullahglauben mit dem islamischen Glauben.
„as-salāmu ʿalaikum!“ (wobei sich noch nicht einmal auf das neutralere und kürzere „Salâm!“ beschränkt wird…), „sayid“ oder „Shokran“ sind Beispiele für solch unnütze Worte, die häufig in den oben genannten Romanen, aber auch an anderen Stellen vorkommen. Sie werden bei den deutschen Texten ersetzt, weil man sie gerade so als Durchschnittsdeutscher noch kennt. Das wirkt allerdings unfreiwillig komisch, weil eigentlich ja der gesamte Text in Tulamidya verfasst ist, weil diese entsprechenden Leute ja nicht Garethi reden.
Tulamidya ist kein Arabisch, sondern eine fiktive Sprache, um deren Ausgestaltung sich nie jemand wirklich gekümmert hat. Wann immer man in der Vergangenheit einen konkreten Begriff aus dem Tulamidya gebraucht hat, hat man willkürlich Arabische, türkische, persische oder aus anderen Sprachen entnommene Wörter genutzt – aber eben willkürlich und eher nach Klang als nach (korrekter) Bedeutung. Wenn man nun dazu übergeht, korrektes Arabisch zu verwenden, dann setzt man eine real existierende Weltsprache mit einer erfundenen Phantasiesprache gleich, was auch zu Logikfehlern in Bezug auf frühere Setzungen führt, die eben nicht dieser klaren Zuordnung entsprechen (konnten). Insofern ist es überhaupt nicht wünschenswert, Menschen die über Arrabisch-Kenntnisse verfügen, Sätze in die eigenen DSA-Werke einzubauen, weil Arabisch ≠ Tulamidya!
Andere Sprachen werden ebenfalls nicht näher ausformuliert. Man könnte sich die Mühe machen, Zelemja auszuarbeiten, um für das Abenteuer in Selem eine stilechte uralte Phrophezeiung zu erstellen, die dann enträtselt werden kann. Man könnte auch Rssahh umfassend auszuarbeiten – auch das wäre bestimmt spannend. Nicht einmal Aureliani wird näher definiert – obwohl es eine wichtige Gelehrtensprache ist. Man macht sich also nicht die Mühe, anderen Sprachen eine konkrete Entsprechung zu suchen oder etwas eigenes zu erstellen – weil es einfach keinen Sinn ergibt, Phantasiesprachen derartig auszuformulieren. Es gibt einfach Hinweise – wie den zur altgriechischen Sprache beim Aureliani-, sodass ein Vorstellungsraum geschaffen wird. Nähere Ausgestaltung bringt überhaupt keinen Mehrwert, denn dann man redet ja auch am Spieltisch nicht ständig in der jeweiligen von Garethi abweichenden Fremdsprache, wenn man bei DSA eine andere Sprache nutzt.
Sinn macht es gewiss, wenn man Eigennamen etc. von arabischen Wörtern ableitet, aber eben auch aus anderen Quellen – damit keine einseitige Dominanz offenbar wird! Ein gelungenes Beispiel dafür mag das aventurisch (auch in „Khunchomer Pfeffer“) gesetzte Wort „kif“ (für Rauschkräuter allgemein) darstellen. Dieses ähnelt dem Wort kiffen, das im 20. Jahrhundert vom Englischen kif entlehnt wurde und auf das Arabische kaif (Wohlbefinden) zurückgeht – im gegensatz zum zu deutlichen „haschisch“, wie man entsprechende Rauschmittel heute ebenfalls nennt,- was widerum auch einfach nur „Gras“ heißt…
Ich plädiere darum für eine vorsichtige Verwendung der arabischen Sprache als „Tulamidya-Ersatz“. Als Inspiration ist sie mit Sicherheit zu verwenden, man sollte es sich aber nicht zu einfach machen, allein, um nicht zu vergessen, dass Tulamidya einfach eine eigene Sprache ist,- auch wenn es niemanden geben kann, der sie wirklich spricht. So erhält man sich im übrigen auch viel mehr Freiheiten beim Spiel. Da in unserem Rollenspiel Fremdsprachen ohnehin nur unzureichend „übersetzt“ werden, macht es keinen Sinn, einzelne Teile von Sätzen zu übersetzen und andere unübersetzt zu lassen – das ist doch unbefriedigend und unlogisch, oder nicht?
Fazit
Ich finde es schade, dass in einem zunehmenden Maß zu deutliche Gleichsetzungen mit Aspekten der realen Welt getätigt werden, die über reine Andeutungen hinaus gehen und dadurch oft (und vermutlich unbewusst) diffamierend auf reale Menschengruppen diffamieren.
Dass in einem zunehmenden Maß der Novadiglauben vermehrt negativ dargestellt wird (im Vergleich zur rativ schwammigen Beschreibung in den frühen Jahren), liegt vielleicht auch an einer im zeitlichen Verlauf zunehemend schlechter werdenden Bewertung von Muslimen in Deutschland. [Siehe dazu die Umfagen und Artikel der Forschungsgruppe, die regelmäßig von W. Heitmeyer unter dem Titel „Deutsche Zustände“ herausgegeben werden.] Dass eher Vergleiche zu totalitären Spielarten des Islams gezogen werden, anstatt wie es problemlos möglich wäre, beispielsweise die hochkulturellen und toleranten Aspekte der Blütezeit der islamischen Kultur auf der spanischen Halbinsel (die von der später sogenannten „Reconquista“ beendet wurde – auf die sich trauriger Weise heute wieder immer mehr Dummköpfe berufen) als Versatzstück aufnehmen, ist schade und keine Zwangsläufigkeit. Für mich hatte Rollenspiel immer auch ein emanzipatorisches Momentum und ich finde es sehr schade, wenn dieses zunehmend unter Vorurteilen begraben wird. Dass Vorurteile derart wirkmächtig werden mag auch am (augenscheinlich 😉 ) geringen Anteil von Muslimas und Muslimen unter Rollenspielerinnnen und Rollenspielern liegen. Auch wenn wir Rollenspieler gemeinhin wenig mit Religion am Hut haben mögen, so gilt es dennoch, diese gesellschaftlichen Aspekte mitzudenken… jedenfalls komme ich selbst nicht umhin, sie mitzudenken.
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